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Für meine anam cara

Vorwort

Kapitel 1 Im Einklang mit allem, was ist Persönliche Zugänge

Kapitel 2 Der christliche Glaube und die Kelten Ein

3 Die Iona Community

Kapitel 4 Keltisches Christentum Schwerpunkte

Kapitel 5 Ganz im Jetzt und Hier Sechs Predigten

als

Ein Schlüssel, Christus zu verstehen

Anam Cara – Seelenfreunde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Wo sich Himmel und Erde berühren

Im Einklang mit allem, was ist

Verzeichnis der verwendeten Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Auf viele Menschen üben die Länder und Regionen, in denen sich die Kelten niedergelassen haben, eine Faszination aus . Besonders Irland und Schottland sind hier zu nennen:1 Regionen großer Naturschönheit und Gastlichkeit .

Als in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung christlicher Glaube und christliches Denken nach Irland kamen, geschah etwas Besonderes . Die frühen Missionare gingen in Achtung vor der alten Kultur vor . Eine alte irische Legende erzählt, dass die Druiden, die Priesterklasse der alten Religion, das Evangelium willkommen hießen, da sie dadurch endlich eine Erklärung für den Stern hatten, der in ihrer Überlieferung einen großen König und Retter angekündigt hatte . Der große walisische Barde Taliesin schrieb, dass Christus schon immer ein keltischer Lehrer war . Nur kannte man ihn noch nicht beim Namen . Eine andere Legende berichtet, dass die drei Magier keltische Druiden waren, die ihre Gaben Christus zu Füßen legen .

Und so wurde die alte druidische Naturreligion in Irland nicht vom Christentum ausgelöscht, sondern „getauft“. Heilige Orte gingen über in geheiligte Orte, die nun als durchdrungen von Gottes Güte angesehen werden konnten . Die Liebe Gottes zu allem Geschaffenen und sein Licht in jedem Lebewesen bedeuteten eine Hochschätzung alles Kreatürlichen, die dem Natur-Mystizismus

der Druiden entsprach . Die Verbundenheit mit der Natur und ihren Rhythmen blieb erhalten . Quasi ein „ganzheitliches“ Christsein, bevor es den Begriff gab, und überraschend zeitgemäß für heute .

Daher strahlt die keltische Spiritualität bis heute eine besondere Atmosphäre aus mit ihrer erdverbundenen und gleichzeitig christuszentrierten Frömmigkeit . Unzählige Geschenkbände mit irischen Segensgebeten sprechen von der Faszination der kraftvollen Texte voller Klarheit, Einfachheit, Naturverbundenheit und Ganzheitlichkeit . Sie atmen eine authentische Beziehung zu Gott, die so echt und klar ist wie die Landschaft, mit der sie im Einklang steht . Die keltischen Christen fanden Gottes Gegenwart in den ganz gewöhnlichen Momenten des Alltags . Alles, was ihnen begegnete, zeigte ihnen die Gegenwart des Heiligen; jeder Tag war voll tiefer Bedeutung . Jenseits und Diesseits sind eng miteinander verwoben, selbst der Tod ist hier nichts anderes als ein vertrauter Ort, den man eigentlich nie verlassen hat .

Der Glaube an das Gute in der Schöpfung, ein Gespür für das Wirken Gottes und seine Begleitung im Alltag und die spirituelle und materielle Welt, die sich gegenseitig durchdringen, berühren uns heute besonders .

Ich spüre an vielen Stellen eine neue Offenheit von Menschen, die der Kirche gar nicht so nahestehen . In meiner Stadtkirchenarbeit komme ich immer wieder mit Menschen zusammen, die –manchmal ohne es zu formulieren – eine Sehnsucht in sich tragen nach dieser Offenheit für Gott, die nicht genuin kirchlich ist .

Vielmehr wird es die Aufgabe der Kirche sein, die Zeichen der Zeit zu erkennen . Mit dem Rückzug aus der Gesellschaft und der Beschäftigung mit den eigenen Binnenlandschaften dient die Kirche den suchenden Menschen nicht; letztlich nicht einmal sich selbst . Vielmehr sehe ich großes Potenzial in einer Kirche, die erneut lernt, aus ihren tiefen spirituellen Quellen zu schöpfen,

auch und besonders aus den Brunnen der iro-schottischen Kirche . Denn mithilfe der Impulse, die ich in diesem Buch aufzuzeigen versuche, können wir einen neuen Blick gewinnen auf das Gute der geschaffenen Welt, in die wir hineingehören . Die Kirche hat traditionell die Defizite des Geschöpflichen betont bis hin zur Verdorbenheit der Menschheit . Das keltisch-christliche Denken verhilft zu einem Perspektivwechsel und gibt der biblischen Botschaft des Anfangs neue Kraft, wenn es im ersten Kapitel der Heiligen Schriften heißt: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte . Es war sehr gut . “2

Und wir können einen neuen Blick gewinnen auf unsere menschliche Eingebundenheit in die Natur, in die Schöpfung . Die Kirche hat über viele Jahrhunderte den Menschen herausgehoben aus den natürlichen Prozessen, ihm eine Machtposition über die Schöpfung zugesprochen, was letztlich die Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen und damit Vernichtung riesiger Waldflächen, Verkarstung fruchtbaren Landes und daraus resultierender Flüchtlingsströme, Klimawandel, Ausrottung ganzer Pflanzenarten und Tierrassen sowie Massentierhaltung erst möglich gemacht hat .

Impulse aus den alten keltisch-christlichen Quellen können Kirche und schließlich auch Gesellschaft dahingehend erneuern, dass wir Menschen uns wieder als Geschöpfe unter Geschöpfen erfahren, die alle beseelt und gut geschaffen sind, die darauf angelegt sind, miteinander zu existieren in einem System gegenseitiger Achtung und Fürsorge . Denn die iro-schottische Kirche hat diesen tiefen Respekt vor allem Lebendigen und Geschaffenen gelebt; einen Respekt, der den lebensverachtenden Ausbeutungssytemen des modernen Turbokapitalismus ganz und gar entgegensteht . Und schließlich atmen die alten Texte und Gebete der keltischen Kirche einen Geist der Freundschaft mit Gott, der beseelend auf den persönlichen Glauben wirkt; eine Innigkeit, eine Verbun-

denheit, die wir auf dem europäischen Kontinent überwiegend am Rande der verfassten Kirche finden können, durchaus aber auch außerhalb; sei es bei Meister Eckhart, Hildegard von Bingen, Martin Luther oder auch bei Rumi, bei Christian Morgenstern und Dorothee Sölle, um nur wenige zu nennen . Tatsächlich hat die keltisch-christliche Spiritualität viel von der Kraft der Mystik, ihrer Be-Geist-erungsfähigkeit und ihrer tiefen inneren Bewegtheit . Das zieht viele Menschen heute an und bringt sie auf mystische Denk- und Glaubenswege . Hatte nicht der katholische Theologe und Mystiker Karl Rahner schon 1965 formuliert: Der Glaubende von morgen „wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein . “3

In ihrer Erfahrungsbezogenheit nimmt die alte keltisch-christliche Kirche ein deutliches Gegenüber zur von vielen als trocken und langweilig empfundenen heutigen Gestalt von Kirche ein, wo Glaubenssätze geglaubt werden sollen und alte Frömmigkeiten den Funken nicht mehr überspringen lassen . In ihrem mystischen Tanz von innerem Bewegtsein, von Begeisterung und Erfahrungstiefe, ihrem Glaubenstanz von Gott und Mensch, der immer aktuell ist und im Jetzt stattfindet – emotionale Erfahrung gibt es immer nur aktuell –, bietet die alte iro-schottische Kirche uns als Suchenden und uns als Glaubenden neue Wege an, eine neue Offenheit für spirituelle Erfahrungen und Werkzeuge, diese Erfahrungen zu deuten und in unser Leben zu integrieren .

Nun klingt es so, als sei die keltisch-christliche Kirche eine Sache der Vergangenheit, der wieder Leben eingehaucht werden müsse . Aber auch, wenn die römische Kirche, wie ich weiter unten zeigen werde, die keltische Kirche im frühen Mittelalter in England und Schottland zu verdrängen versucht hat, in gewisser Weise auch in Irland, ist sie immer lebendig geblieben . Sie musste unter dem Druck der Verhältnisse in den Untergrund gehen, ist aber nie ganz eingegangen . In verschiedenen Lebens- und Glaubensgemeinschaf-

ten, von denen einige im 20 . Jahrhundert gegründet wurden, wird keltisch-christliche Spiritualität moderner Prägung heute gelebt . Sie schöpfen aus alten Quellen und finden dort kraftvolle Inspiration für eine nachhaltige Lebensgestaltung . Es gelingt ihnen, eine Spiritualität der Nachhaltigkeit zu entwickeln und zu verbreiten, die sich den aktuellen sozio-politischen Herausforderungen stellt . Ich denke an die Findhorn Community im Norden Schottlands, an die irische Corrymeela Community, an die englische Northumbria Community und besonders auch an die Iona Community .

Ich will von mir selbst erzählen, von einer der ersten Besuche im Kloster auf der kleinen Hebrideninsel Iona . Ich war erst dabei, diese für mich neuen Denk- und Glaubenswege gehen zu lernen . Ich wusste noch wenig von der alten und modernen keltischen Kirche, die selbst mit dem Begriff „keltisch“ viel vorsichtiger und zurückhaltender umgeht, als ich es hier tue . Wir sitzen also in der Abteikirche auf der Insel Iona und feiern Gottesdienst . Wir singen wunderschöne Lieder mit iro-schottisch anmutenden Melodien, die direkt ins Gemüt gehen, die den Außen- und Innenraum zum Klingen bringen . Wir sprechen viele Texte gemeinsam, andere abwechselnd . Alles auf Englisch natürlich . Eine Zeile springt mir ins Auge . Sie lässt mich nicht mehr los .

Das ist nun Jahrzehnte her . Wie oft habe ich seitdem wieder in dieser Kirche am Ende der Welt gesessen, gesungen, gebetet . Wie oft bin ich an dieser Zeile hängen geblieben . Wie oft habe ich –als Associate Member of the Iona Community, also als Mitglied in zweiter Reihe sozusagen – diese Worte auch zu Hause aus dem Andachtsbuch für Mitglieder der Kommunität gebetet:

Further in all things the purpose of our Community, that hidden things may be revealed to us, and new ways found to touch the lives of all.4

Fördere die Iona Community in all ihren Belangen, auf dass Verborgenes ans Licht kommen möge und auf dass wir neue Wege finden, das Leben aller zu bereichern.5

So vieles ist mir noch verborgen, denke ich oft . Für vieles bin ich noch blind . Mein schnell getakteter Alltag lässt mich nicht richtig hinsehen . Wie oft verhindere ich selbst, dass ich langsamer und achtsamer durchs Leben gehe . Aber vor mehr als einem Vierteljahrhundert haben diese Worte in meinem Denken einen Widerhaken gesetzt . Und dafür bin ich dankbar . Denn seitdem fühle ich mich als Lernender, wenn es darum geht, tiefer zu sehen; hinter den Schleier zu blicken; unter die Oberfläche zu gelangen . Ich spüre: Ein kleines Stück des Weges bin ich schon gegangen . Aber das meiste liegt noch vor mir .

Heute, wo ich mit der konkreten Arbeit an diesem Buch beginne, lese ich in den Herrnhuter Losungen . Wie spannend, was sich mir zeigt! Die alttestamentliche Losung steht im Buch des Propheten Daniel 2,28 . Und der dazu ausgesuchte neutestamentliche sogenannte Lehrtext findet sich im Brief des Paulus an die Kolosser 2,3 . Folgendes lese ich:

Es gibt einen Gott im Himmel, der Geheimnisse enthüllt.

In Christus sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen.

Viele Geheimnisse gibt es in uns und um uns herum . Unsere Zeit entschlüsselt so manches . Das menschliche Genom zum Beispiel . Aber manche Geheimnisse scheinen in dem Maße zuzunehmen, in dem wir altes Wissen über die Natur verlieren, der wir uns nach

und nach entfremden . Wir steuern sehenden Auges auf eine Klimakatastrophe zu und sind für Auswege aus der Misere anscheinend blind wie Maulwürfe . Entschuldige, Maulwurf . Unsere der Wirtschaft ergebene Politik betreibt Flickschusterei und freut sich an Schönheitsreparaturen sowie an kleinsten Schritten . Manche von uns haben schon mit dem Verstand, andere vielleicht mit dem Herzen begriffen, dass wir radikal auf einen anderen, bescheideneren Lebensstil hinarbeiten müssen . Manche haben noch gar nichts verstanden . Denn noch leben wir in einem Land, in einem Verbund von Staaten, auf einem Kontinent, der schier endlos Waffen herstellt und liefert; Waffen, die ihren Einsatz finden und damit Kriege unterstützen . Es ist ein Verbund von Staaten, der Flüchtlinge, sogar die jüngsten, sterben lässt in irrationaler Angst um die eigene Sicherheit und den bequemen Lebensstil; ein Staatenbund, der Massentierhaltung fördert und damit die entwürdigendsten Zustände nicht nur in Kauf nimmt, sondern erst herstellt . Wir haben uns der Menschlichkeit entfremdet . Wir haben uns aus der Schöpfung gehoben . Wir haben uns damit auch, fürchte ich, von Gott und seinem Wirken weitgehend getrennt . Dringend brauchen wir neue Einsichten in das Wesen und Wirken Gottes, aus dessen Liebe diese Schöpfung erst entstanden ist und damit auch wir selbst als menschliche Geschöpfe . Was bedeutet es angesichts dieser vernichtenden Kurz-Bilanz, dass „in Christus alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen sind“? Wie kann ein neuer geistlicher Zugang aussehen, der auch in ein neues Handeln münden kann? Woher nehmen wir kraftvolle Impulse für einen neuen Weg? Welche verborgenen Einsichten können wir mit Gottes Hilfe aufdecken und nutzbar machen?

Diese Fragen haben mich dazu gebracht, das vorliegende Buch zu schreiben . Denn ich bin sicher, dass die keltische Art der Spiritualität uns hier in besonderer Weise helfen kann, neue Antworten auf diese Fragen zu finden, und somit genau in unsere Zeit passt –

vielleicht besser als unsere bisherigen Zugänge . Und ich hoffe, dass Sie mir hier und da folgen können . Mir geht es in keiner Weise um Schwarzmalerei, auch wenn ich einige drastische Worte und Bilder aus den täglichen Nachrichten geholt und aufgeschrieben habe . Eher strebe ich das Gegenteil an . Ich möchte nichts schwarzmalen, verbergen, verdunkeln . Nein, ich möchte an einem Prozess teilnehmen, der sichtbar macht; der Verborgenes ans Licht zu holen hilft; der tiefer sehen lässt . Lasst uns in der Zukunft, die uns gegeben ist, die Schätze der Weisheit und Erkenntnis gemeinsam heben, soweit sie sich unseren Offenbarungsquellen entnehmen lassen: that hidden things may be revealed to us.

Seh’ die Sonne hell und klar, doch kann so nicht verweilen. Kann die Worte lesen zwar, doch nicht zwischen den Zeilen.

Blau der Himmel über mir

fängt ab den Blick nach oben. Schaue in die Augen dir bis vor die Seelenwogen.

Wollte gerne tiefer sehn, oft bleibt mein Blick gefangen.

Wollte gerne weitergehn, ins Wesen zu gelangen.

Doch dann, für Augenblicke nur zerreißt vor mir der Vorhang. Die Seele bebt in Freude pur ein paar Herzschläge nur lang.

So weiß ich nun, dass seine Welt die Tiefendimension ist.

Was immer mir die Augen hält, dies Ahnen mich nie loslässt.

Mich treibt das Ahnen, ja das Wissen darum, dass wir Heutigen lernen können, tiefer zu blicken . Das Leben mit den alten und neuen Erkenntnissen, mit den Gedichten, Gebeten und Liedern der Iona Community hat mich auf diesen Weg gebracht . Ich versuche, tiefer zu graben und zu lernen, was die alten iro-schottischen Nonnen und Mönche, was die keltischen Christ*innen bewegt hat . Und was dieser Zuwachs an Wissen für heute bedeuten kann . Das ist eine verheißungsvolle Entdeckungsreise, an der ich Sie gern teilhaben lassen möchte .

Einigen Personen möchte ich danken . Zunächst den Menschen, die mir den Weg nach Iona gezeigt haben, meinen Eltern und meinem verstorbenen Freund Brian Hardy aus Edinburgh; dann den vielen Menschen, die sich über die Jahre mit mir auf den Weg gemacht und jeweils eine Woche in der Iona Abbey mitgelebt haben; unter anderen Elke, Kolja, Bärbel, Andreas, Regine . Auf der inneren Reise, die das Buch beschreibt, sind wir gemeinsam unterwegs .

Dann danke ich Eva Stapper und ihrem Team von der Ruhrtalbuchhandlung in Schwerte . Sie haben mir bei der Recherche und beim Besorgen von allerlei Fachliteratur aus aller Welt geholfen . Ich danke meinen Freundinnen und Freunden von der Iona Community, speziell einigen Mitgliedern meiner Family Group mit dem nüchternen Namen NRW 2: Arnd Corts, Karin Schmid und Frank Schulte . Weiterhin danke ich Tabea Esch und Matthias Helms . Sie alle haben für mich Korrektur gelesen und mich auf neue Spuren gebracht . Ich danke hier meinen Eltern, die sich stets

für das interessieren, was mich umtreibt, ein weiteres Mal . Auch sie haben mir beim Korrigieren geholfen .

Und schließlich geht ein herzlicher Dank an meine Lektorin

Karoline Kuhn . Jetzt erst weiß ich, was ein gutes Lektorat an zugewandter und kompetenter Begleitung bedeutet . Zudem danke ich

Sarah Koller, Programmleiterin beim adeo Verlag, und Ilka Walter, Fachfrau für Presse und Werbung, für die gute und gut aufgelegte

Zusammenarbeit beim Entstehen dieses Buches .

Schwerte, im September 2021

Kapitel 1

Im Einklang mit allem, was

ist

Persönliche Zugänge

Von 2009 bis 2016 habe ich in Sinsen gelebt, einem Ortsteil von Marl im nördlichen Ruhrgebiet . Eine große Waldfläche, die sogenannte Haard, trennt Sinsen von Haltern und stellt eine natürliche Grenze zum Münsterland dar . Die Haard, ein wunderbarer lichter Mischwald, gehört zum Naturschutzgebiet

Hohe Mark . Zeitweise war ich täglich in der Haard unterwegs . Manchmal mit dem Fahrrad, manchmal als Jogger, oft auch mit der Kamera um den Hals, am liebsten aber als einfacher Spaziergänger .

Schon auf dem Haardgrenzweg, am Waldrand gelegen, öffneten sich mir die Sinne, und ich spürte eine Art Erleichterung, die mir durch Körper und Geist ging . Auf den harten und weichen Waldwegen war ich zu Hause .

Eines Tages im Sommer nahm ich Platz auf einer Bank . Um mich herum nichts als Sonnenlicht, Vogelgezwitscher und das rege Krabbel-Leben auf dem Waldboden . Auf einmal war es, als scheine das Licht nicht nur wärmend auf meine Haut, sondern in mich hinein und durch mich hindurch . Ich glühte und blühte

gleichsam innerlich auf . Etwas öffnete sich in meiner Seele, und ich fühlte mich eins mit allem, was mich umgab . Ich spürte einen unbeschreiblichen inneren Frieden, der zugleich eine unbändige und ganz ruhige Freude war . Gott füllte mich aus, so erlebte ich es, und ich wurde eins mit ihm . Und mit den Vögeln . Und mit den Bäumen . Und mit Sonne und Luft .

Dieses einzigartige Gefühl währte einige Augenblicke, mögen es Sekunden gewesen sein oder Minuten . Es waren einige Momente Ewigkeit, die den Lauf der Zeit für mich aussetzten . Auf einmal war ein tiefer Sinn da, den man nicht erklären muss . Oder kann . Auf einmal war eine Erkenntnis da, die ich mir nie hätte erarbeiten können . Ich spürte, was die Welt im Innersten zusammenhält, die Sehnsucht von Goethes Faust hatte sich erfüllt, hatte sich mir geschenkt . Völlig unerwartet und unverdient . Und auch zu halten war dieser Augenblick der Ewigkeit nicht, der Blick in den Festsaal, der immer da ist . Nur kann ich ihn nicht immer sehen . Am gleichen Tag schenkten sich mir folgende Verse .

Sonnenstrahlen fallen durch das Birkendach.

Schattenspiele halten den Waldboden wach.

Grillen zirpen fröhlich durch die lichte Luft.

Jede Pore atmet den erdigen Duft.

Klappernd klopft ein Specht von fern an meine Tür.

Eine Amsel hüpft vorbei und grüßt von dir.

Mücken tanzen selbstvergessen ihren Tanz.

Der Wald weiß mehr als ich von deinem Schöpferglanz.

Wer ich heut noch war, der bin ich jetzt nicht mehr.

Wichtiger Nichtigkeiten voll – nun bin ich leer.

Das Haben stand im Vordergrund, hier darf ich sein.

Und alles in mir flüstert lächelnd: Ich bin dein.

Ein solches Erleben des Einklangs kommt . Und es geht wieder . Es lässt sich nicht halten . Es ist reines Geschenk . Aber es hinterlässt einen Nachhall, der einige Zeit im Herzen bleibt und die Seele wärmt . Wenn Gott sich auf diese Weise schenkt und erfahrbar wird, verändert das etwas auf nachhaltige Weise . Die eigene Weltwahrnehmung bekommt eine neue Farbe . Der Glaube, der nur ein anderes Wort dafür ist, eine neue Grundstimmung . Die Sehnsucht nach Leben erhält eine neue Ausrichtung durch eine Naturerfahrung, ein Schöpfungserlebnis, das mir sagt: Ich bin ein Teil der guten Schöpfung Gottes . Sie existiert nicht nur irgendwo um mich herum, sondern auch in mir und durch mich hindurch . Gott wirkt auf wunderbare Weise, und ich will mich davon nicht ausschließen . Nein, im Gegenteil, ich bette mich ein und nehme Anteil an dieser Erfahrungswelt .

Und auch wenn die Intensität der geschilderten Erfahrung für mich ein ganz besonderer, einzigartiger Moment gewesen ist, bleibt er bei mir und spiegelt sich in einer nun reicher gewordenen Erfahrungs- und Glaubenswelt, die sich mir besonders in den natürlichen Kathedralen Gottes, in den Wäldern, erschließt .

Ich bin die Erde, die aufbricht, ich bin der Finke, der singt.

Ich bin die Fichte im Dickicht, der Frühling, der alles durchdringt.

Die Sonne, die sachte die Haut wärmt, das raschelnde Wehen der Luft; der Himmel, der von seinem Blau schwärmt, der unwiderstehliche Duft.

Momente des Eins-Seins, sie kommen, sie gehen, verweilen nie lang.

Sie haben den Schmerz mitgenommen, zurück bleibt im Herzen ein Klang.

Mit dem Erleben des Einklangs tauchen neue Fragen auf . Sollten intensive Gotteserfahrungen nicht ganz besonders häufig in der Kirche geschehen? Warum sind kirchliche Erfahrungen für mich und andere oft eher trocken, manchmal altbacken, wenig lebendig und begeisternd? Meine eigene evangelische Kirche geht in Deutschland einen Weg, der in den Gottesdiensten eher den Verstand als das Gefühl anspricht, oft mit alten Texten, Bibelübersetzungen und Liedern, denen die Frische und Begeisterungsfähigkeit über die Zeiten etwas abhandengekommen ist . Ich erlebe eher etwas wie Trost und Existenzversicherung als Aufbruch und begeisterten Neuanfang . Doch es geht auch anders .

Sieben Jahre lang bin ich in den 2010er-Jahren mit einem Bus voller Jugendlicher und Erwachsener in der Osterwoche ins französische Burgund gefahren, genauer gesagt in das kleine Dorf

Taizé . In der dort ansässigen, in den 1940er-Jahren vom Schweizer Pfarrersohn Roger Schütz gegründeten Kommunität lebten wir eine Woche lang in Gemeinschaft: Gottesdienste mit einigen

Tausend junger und einigen Hundert älterer Menschen, Bibelauslegungen, Gesprächsgruppen, Hausarbeit und Zeit zur eigenen Verfügung .

Was ist so anders an den dortigen Gottesdiensten, die dreimal am Tag gefeiert werden? Ja, sie sind auf den ersten Blick unkonventionell . Man sitzt auf dem Boden . Alle sind bequem und nach eigenem Gusto gekleidet . Die Lesungen, Lieder und Ansprachen sind international und mehrsprachig . Man hat das Gefühl, man dürfe so sein, wie man ist . Es gibt eine siebenminütige Schweigephase nach der Bibellesung . Und die kurzen, einprägsamen und

von einfachen Melodien lebenden Lieder werden immer wiederholt, sodass man schon einmal zehn Minuten lang dasselbe Lied singt .

Eine der großartigen Erfahrungen, die ich aus Taizé mitnehme, ist das unbeschreibliche Gemeinschaftsgefühl, das sich in den Gottesdiensten aufbaut und das auch gewollt ist und gefördert wird . Die Brüder von Taizé wissen, was Jugendliche und junge Erwachsene brauchen . Wenn in der sogenannten Nacht der Lichter, die jeden Samstag von 20 : 30 Uhr bis in die Nacht hinein in der Kirche gefeiert wird, in den Händen der Menschen einige Tausend Kerzen aufleuchten und dazu Lieder gesungen werden, dann schafft die Kommunität einen Nährboden für geistliche Erfahrungen . Ich erinnere mich an einen Abendgottesdienst, der mir – wiederum ganz unerwartet und unverhofft – die intensive Erfahrung von Gottes Nähe geschenkt hat . Wir saßen und sangen . Es war ein Lied mit italienischem Text, daher verstand ich den Inhalt nicht wirklich, aber den Klang der Worte kannte ich schon auswendig, und die Melodie hatte ich schon im Herzen . Mit einem Mal kamen mir die Tränen . Gleichzeitig fühlte ich Melancholie und großes Glück . Mich durchzog ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie eine Welle, auf der ich eine Weile schweben durfte . Ich wurde eins mit allen um mich herum, und Gott sang mir in die Seele . Ich durfte für einen Augenblick mit inneren Augen in die Tiefe sehen und erlebte wieder, dass Gott alles in allem ist; mit einer Präsenz, einer intensiven Gegenwart, die mich meine geistlichen Hände öffnen ließ, mich ganz auf Empfang gehen ließ und mich bis in die letzten Winkel ausfüllte . In mein Tagebuch schrieb ich:

Die Stimme hebt zu singen an. Und tausendstimmiger Gesang erfüllt den Raum, lässt ihn erklingen,

als würden hundert Engel singen. Ich schwinge in den Rhythmus ein, steig in die Harmonien hinein und werd allmählich aufgehoben, lass alles los und find mich droben im Stimmenhimmel glücklich wieder und schwebe auf den Tönen nieder als kleiner Fisch im großen Strom, als Rädchen schlicht im Velodrom, als Welle, reine Energie, die aufgeht in der Melodie.

Für Augenblicke find ich mich am Himmelstor. Es öffnet sich. Bin Sinn. Bin Geist. Bin Gott. Bin Welt. Fühl, was die Welt zusammenhält.

Bin Urgrund und bin Schöpferkraft. Dann seh ich nur noch schemenhaft. Das Tor geht leise wieder zu.

Was bleibt, ist ein Gefühl vom Du, deiner Präsenz in allen Dingen, die sich mir offenbart im Singen. Ich weiß, ich bin nie mehr allein. Denn du bist mein. Und ich bin dein.

Und dann, etwas weniger schwärmerisch:

Heute hab ich dich ganz nah gespürt, deinen klaren Blick auf mich geheftet. Wieder hast du mich ganz sanft berührt, meinem Herzen eine Tür geöffnet.

Überwältigt sah ich dein Geheimnis in den Kerzen und in den Gesichtern. Was ich glaube, wurde heute meines. Ich sah deine Liebe in den Lichtern.

Ich möchte einen Augenblick innehalten und im Nachklang dieser geistlichen Erfahrungen fragen: Warum sind solche transzendenten Momente in unserem „normalen“ Leben so selten? Und stimmt das überhaupt? Was können und sollten wir im Raum der Kirche wiedergewinnen, um den Menschen mehr solcher Glaubenserfahrungen möglich zu machen? Wie holen wir die uralten Glaubenserlebnisse der biblischen Zeugen in unsere Gegenwart hinein?

Doch bevor ich mich diesen Fragen widme, bleibe ich noch bei den bewegenden Erfahrungen des Einsseins . Viele Menschen haben mir von ähnlichen Erlebnissen erzählt, von Momenten, die sie zu Tränen gerührt haben, die sie in eine Sphäre der Verbundenheit versetzt haben, in denen sie tiefer verstanden und neuen Sinn gefunden haben . Wir kennen diese Erfahrungen aus der Geschichte, weil Mystiker von Augustin über Rumi bis Jörg Zink sie immer wieder beschrieben haben . Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat diesen Erfahrungen und ihrer Deutung ihr Hauptwerk gewidmet . 1

Erst kürzlich habe ich erfahren, dass der amerikanische Psychologe Abraham H . Maslow schon in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen hat, diese „mystischen Erfahrungen“ zu erforschen . Später hat er sie auf einen neuen Begriff gebracht und nannte sie „Gipfelerlebnisse“. Seine Feldforschungen haben ergeben, dass nicht nur besonders spirituell begabte, sondern viele Menschen diese Erfahrungen machen . Gipfelerlebnisse als „Momente tiefer Verbundenheit, Momente von unbedingter Zugehörigkeit, Momente der Aufhebung allen Getrenntseins,

Momente des Einsseins mit der Welt, Momente tiefen Glücks“2 sind durchaus weit verbreitet und gehören nicht einem exklusiven Kreis von Mystikern .

Ich nehme das als Ermutigung und werbe für eine neue Offenheit, auch selbst solche bewegenden Erfahrungen zuzulassen . Wir können diese spirituellen Erlebnisse nicht selbst hervorrufen, sondern sie werden uns geschenkt . Aber wir können uns durchaus an Orte begeben, die ein solches Erleben fördern . Für mich selbst sind es die Wälder, in denen ich unterwegs bin . Die Gottesdienste in Taizé und auf Iona bringen mich in die Nähe mystischen Erlebens . Für andere sind es andere Orte .

Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass eine spirituelle Neugier uns in die Nähe solchen Erlebens bringen kann, ein Einlassen mit Haut und Haaren auf das, was wir erleben, eine Begeisterungsfähigkeit und Offenheit; aber auch die Abkehr vom lauten Alltag, wenn wir uns hier und da zurückziehen . Dann wieder das Hineinbegeben in Gemeinschaftssituationen . Ich möchte Mut machen, auf die Suche zu gehen nach den Orten, die für uns zu geistlichen Erlebnisorten werden können; nach den Situationen, die intensives Erleben bei uns fördern; nach Einkehr und Stille und spiritueller Gemeinschaft . Mein Dank gilt dem Psychologen und Therapeuten Erhard Doubrawa, der sich diesem wichtigen, aber unbekannten Forschungsgebiet der Gipfelerlebnisse widmet und mithilft, sie aus dem Elfenbeinturm in den Alltag zu holen .

Nun zurück zu den Fragen, über die ich im Folgenden mit Ihnen nachdenken möchte: Was können und sollten wir im Raum der Kirche wiedergewinnen, um den Menschen mehr solcher emotionalen Glaubenserfahrungen möglich zu machen? Wie holen wir die uralten Glaubenserlebnisse der biblischen Zeugen in unsere Gegenwart hinein?

Es gelingt uns wohl in unseren Gottesdiensten, textlich und emotional bis in die Zeit der Reformation zu kommen, zu Luther und Melanchthon; manchmal ins 17. Jahrhundert mit Paul Gerhardt . Manchmal auch noch bis ins 20 . Jahrhundert mit der Bibel im heutigen Deutsch und moderneren Liedern . Hier und da leuchtet echte Freude auf, wird echter Trost gespendet und werden prophetische Worte gesprochen . Aber wir leiden doch alle daran, dass die Kirche in eine Abwärtsbewegung hineingetrudelt ist, die wir allem Anschein nach nicht mehr aufhalten können .

In der charismatischen Bewegung, die mit Lobpreis-Gottesdiensten (auch) die evangelische und katholische Gottesdienstkultur bereichert, finde ich den Willen, Glaube und emotionales Erleben zu verbinden . Und das brauchen wir . Nur sehe ich dort auch ein weitgehend auf die persönliche Gottesbeziehung beschränktes Evangelium . Wo bleiben Impulse für eine gesellschaftspolitisch durchdrungene Hoffnung, wie Jesus sie lebte? Wo finde ich die ökologische Grundierung der frohen Botschaft, die heute so wichtig wird? Beides ist notwendig für die Zukunftsgestaltung unserer Welt und drängender als jemals zuvor .

Seit 2016 arbeite ich als sogenannter Stadtkirchenpfarrer in Schwerte an der Ruhr, einer netten intakten Kleinstadt zwischen Ruhrgebiet und Sauerland . Meine Hauptwirkungsstätte ist die altehrwürdige, wunderbar schlicht und kunstvoll restaurierte gotische St . Viktor-Kirche . Unterstützt von den Kolleginnen und Kollegen sowie der Gemeindeleitung versuche ich, Kunst und Kultur intensiv in das gottesdienstliche Leben einzubeziehen und eine gegenwartsbezogene Spiritualität zu leben, die heutige Menschen in ihrer jeweiligen Sehnsucht nach Leben anspricht . Besonders in meinem Fokus sind Menschen, die das Interesse an Kirche verloren haben, sich schon abgewendet haben oder kurz davorstehen; solche, die Kirche neu und anders erleben wollen; die keiner oder einer anderen Religion oder Konfession angehören .

Wir machen die Erfahrung, dass viele kommen und unsere andersartigen Gottesdienste genießen: Poesiegottesdienste, Kunstgottesdienste, Theater-, Film-, Konzert-, Taizé- und Iona-Gottesdienste, Pilger-, Menschenrechts- und Transgendergottesdienste . Natürlich gibt es auch Menschen, denen das zu wenig liturgisch oder klassisch ist .

Das gottesdienstliche Angebot wird auf der einen Seite flankiert von niedrigschwelligen Angeboten: Regelmäßiges Kirchenkino mit diskussionswürdigen Arthouse-Filmen, Konzerte, die oft eine iro-schottische Prägung haben, Vorträge, Lesungen, Feste und manches mehr veranstalten wir . Auf der anderen Seite haben wir die nicht so niedrigschwelligen Gruppen und Kreise sowie insbesondere die Film- und Wanderexerzitien, die Kloster-, Städte-, Natur- und Pilgerreisen, die intensive menschliche und geistliche Gemeinschaftserfahrungen vermitteln wollen .

Ich kann diese Art des Gemeindeaufbaus hier nur anfänglich erwähnen und noch nicht einmal das Für und Wider, die guten und die kritischen Erfahrungen ausführlich schildern und analysieren . Jedoch ist es mir wichtig, meine Leserinnen und Leser auf zwei Pfade mitzunehmen .

Der eine Pfad führt in eine neue Hochschätzung der Schöpfung als ständige Lebensäußerung Gottes . Der andere Pfad führt in die Kirche hinein und in das Wahrnehmen und Hochschätzen der Bibel als Quelle von Trost und Inspiration, als Quelle von Fragen und Antworten, als Schrift gewordene Gotteserfahrung vieler verschiedener Menschen . Es sind also zwei Offenbarungsquellen, von denen ich hier spreche .

In dem von nur wenigen Evangelischen gelesenen Weisheitsbuch, das nicht in jeder evangelischen, aber in allen katholischen Bibelausgaben abgedruckt ist – es gehört zu den Spätschriften des Alten Testaments – , finden wir folgenden Vers:

An der Größe und Schönheit der Schöpfung wird der Schöpfer wie in einem Bild erkannt.3

Bitte lesen Sie diesen Vers einige Male und in Ruhe . Hier erschließt sich eine Hochschätzung der natürlichen Umgebung, der Schöpfung Gottes, von der wir in Theologie und Kirche so gut wie nichts hören . Die Bibel selbst aber kennt sie . Lesen Sie nur die wundervollen Schöpfungspsalmen, die Reden Gottes im Hiobbuch, die Schöpfungsberichte ganz am Anfang der Bibel . Unsere heiligen Schriften atmen die Liebe zur und die Ehrfurcht vor der Natur, die Gott ins Leben rief . Und an wenigen Stellen wird die Schöpfung auch theologisch qualifiziert, also auf Gott selbst und sein Wirken sowie auf menschliche Erkenntnismöglichkeiten bezogen .

Die aufmerksame Betrachtung der Natur ist ein Pfad zur Gotteserkenntnis . Ein Sich-hinein-Meditieren in die Schöpfung führt zu Gott als dem, der all das gemacht hat und ständig durchwebt . Die achtsame Wahrnehmung dessen, was ist, lässt die Schöpfung zu einem Gleichnis für Gott werden . Das wusste auch Paulus und schrieb in seinem Brief an die Römer davon:

Gott hat es ihnen vor Augen geführt. Denn sein unsichtbares Wesen ist seit der Erschaffung der Welt erkennbar geworden –und zwar an dem, was er geschaffen hat.4

Paulus kannte seine heiligen Schriften und zitiert hier das Buch der Weisheit . Die beiden Pfade, von denen ich sprach, kommen hier zusammen: Der Weg der Gotteserkenntnis über das achtsame Wahrnehmen der Schöpfung und der Weg der Gotteserkenntnis über das achtsame Studieren der Bibel . Es ist, als könne man in zwei Büchern lesen: im Buch der Schöpfung und im Buch der Bücher .

So hat es ein keltisch-christlicher Lehrer vor mehr als 1000 Jahren geschrieben, Johannes Scotus Eriugena, der in diesem Buch an mehreren Stellen gewürdigt und zitiert werden wird:

Gott spricht zu uns durch zwei Bücher, das kleine Buch der Schrift und das große Buch der Schöpfung. Es kommt für die Erkenntnis unseres Gottes darauf an, in beiden Büchern zu lesen.

Beide sprechen sie aus dem Herzen Gottes.5

In seiner Homilie zum Prolog des Johannesevangeliums finden sich folgende Zeilen:

Beobachte die Form und Schönheit der sinnlich wahrnehmbaren Dinge und verstehe das Wort Gottes in ihnen. Wenn du dies tust, wird die Wahrheit dir in allen Dingen nur denjenigen offenbaren, der sie erschaffen hat; außerhalb von ihm gibt es nichts zu betrachten, denn er selbst ist alle Dinge. Denn in allem, was wahrhaft ist, in allen Dingen, die sind, ist er.6

In den Jahren, in denen Eriugena, der Gesangslehrer der Seele7 , lehrte, wurde von keltisch-christlichen Mönchen auf der kleinen schottischen Hebrideninsel Iona ein keltisches Hochkreuz aufgestellt . St . Martin gewidmet, zeigt das etwa drei Meter hohe Steinkreuz auf der Westseite Szenen aus biblischen Geschichten . Auf der Ostseite sind keltische Muster und Knoten abgebildet, die von

der Verbundenheit allen Lebens in der Schöpfung sprechen . Das Hochkreuz, das für Gottesdienste und Feste genutzt wurde und jeden Pilger auf Iona begrüßt, erzählt die gleiche Botschaft vom Lesen in beiden Büchern: dem Buch der Bibel und dem Buch des Lebens .

Und das führt mich zu meinem inneren Anliegen, dieses Buch zu schreiben . Viele gute Impulse für ein Leben in Verantwortung vor der Schöpfung und den Menschen, viele Anregungen für ein neues Verstehen der biblischen Geschichten habe ich in der Iona Community erhalten . Das Lesen in beiden Büchern habe ich zuerst dort gelernt, auf Iona . Gottesdienste, die mich bis ins Innerste bewegten und inspirierten, habe ich in der Abtei auf Iona mitgefeiert, seit ich 1983, noch als Schüler, zum ersten Mal dort war .

Die Wochen, die ich in christlicher Gemeinschaft auf Iona mitgelebt habe, aber auch viele Gespräche und Erlebnisse mit Menschen der Iona Community bei uns in Deutschland, haben mich zu der Überzeugung gebracht: Die christlich-keltische Spiritualität kann uns genau die neuen und zugleich uralten Impulse schenken, die wir aktuell in Kirche und Gesellschaft dringend brauchen . Wir Menschen sind beseelte Geschöpfe Gottes unter vielen anderen beseelten Geschöpfen Gottes, mit denen wir in Frieden leben können, von denen wir viel lernen können und denen wir viel geben können . Zurzeit beuten wir die Erde in ihrer reichen Geschöpflichkeit eher aus, als dass wir mit ihr in Einklang sind . Diesem Raubbau entgegenzuwirken ist eine wichtige Aufgabe der Zukunft . Und dazu kann uns die keltische Spiritualität entscheidende Impulse geben .

Auf Urzeitgestein, das so alt wie die Welt ist, entfaltet sich Leben, dynamisch und jung. Die heilige Insel lebt christlich und keltisch Gemeinschaft und bringt Menschen heilsam in Schwung.

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