Harald Eckert
DEUTSCH LAND
in der Zerreißprobe
©2023 TOS Verlag, Tübingen
Erste Auflage
Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich.
ISBN Buch 978-3-96589-008-4
eISBN E-Book 978-3-96589-009-1
Die Bibelzitate in diesem Buch sind, wenn nicht anders angegeben, entnommen aus der Schlachter, Copyright ©2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.
Satz: Hannah Dißelhorst
Umschlaggestaltung: Hannah Dißelhorst
Coverfoto: ©markue/123rf.com
Lektorat: Josefine Stahl
Produktion: ARKAdruk
INHALTSVERZEICHNIS
Teil 1: Die Zerreißprobe............................................................... 13
Kapitel 1: Deutschland-Israel auf der Kippe............................ 14
Kapitel 2: Die Berufung Deutschlands und nationale Buße .... 21
Kapitel 3: Haben wir aus den Fehlern der Geschichte gelernt?...40
Kapitel 4: Christenheit an der Seite Israels................................55
Teil 2: Die Berufung Israels........................................................ 79
Kapitel 5: Israels Kernberufung zum Segen für die Völkerwelt................................. 80
Kapitel 6: Israels Gnadengaben –unsere christlichen Wurzeln .................................... 91
Kapitel 7: Das große Ziel: Der neue Himmel, die neue Erde, das neue Jerusalem ......................... 109
Kapitel 8: Zeiten der Wiederherstellung und Zeiten der Erquickung (Apg 3) .............................. 120
Kapitel 9: Israels Berufung: Eine königliche Priesterschaft als Banner für die Nationen ............ 137
Teil 3: Die Nationen zwischen Zion und Babel ........................ 157
Kapitel 10: Die Liebe Gottes zu den Nationen ......................... 158
Kapitel 11: Die Gefährdung der Nationen durch den „Geist Babels“ ....................... 171
Kapitel 12: Die Nationen auf dem Weg in das „Tal der Entscheidung“ ............................... 190
Kapitel 13: Gericht über die Nationen ..................................... 205
Kapitel 14: Die Heilung der Nationen ......................................235
Teil 4: Die Berufung der Christenheit für die Nationen ........ 253
Kapitel 15: Die existentielle Verbundenheit der Christenheit mit dem jüdischen Volk ............. 254
Kapitel 16: „Zeiten der Wiederherstellung“, das Reich Gottes und derMissionsbefehl ............. 273
Kapitel 17: Jesus: „Machet Nationen zu Jüngern“ ..................
Kapitel 18: Der Leib Christi und die fünf Leitungsgaben gemäß Epheser 4 ...........................
Kapitel 19: Jesus kommt: Vier Zielgruppen –vier Botschaften – ein Muster ...............................
Kapitel 20: Drei Schlüssel für das
Kapitel 21:
VORWORT VON JOBST BITTNER
Stellen Sie sich vor, Sie halten die antike Karte eines unentdeckten Schatzes in ihrer Hand, können diese aber trotz aller Bemühungen nicht lesen. Ähnlich kann es uns auch in unserer inneren Haltung zu Israel gehen. Manchmal haben wir aufgrund unserer eigenen Vorstellungen und Prägungen so etwas wie eine innere Schutzschicht, an der wegweisende geistliche Impulse kaum haften bleiben. So fühlte auch ich mich viele Jahre, wenn es um das Thema Israel ging.
Es gab in mir eine innere Instanz, die das Thema relativieren und immer wieder beiseiteschieben wollte. Ich wollte nicht zu den von mir geringschätzig bezeichneten „Israel-Fans“ gehören. Als Pastor hatte ich Wichtigeres zu tun, dachte ich. Obwohl ich als Teenager mein Leben Jesus gegeben hatte und sehr früh über die endzeitliche Rolle Israels gelehrt worden war, konnte sich doch das Gift der 2000jährigen antijüdischen DNA der Kirche in mich hineinfressen. Tatsächlich liegt in einem fundierten biblischen Verständnis über den Segen Israels der Schlüssel zu durchbrechenden persönlichen Veränderungen und der Wegweiser zu einer endzeitlichen Reformation.
Aber zunächst musste ich dies selbst anwenden und meine innere Distanz loswerden. Wie konnte ich etwas innerlich abwehren, von dem Gott sagt, dass er es besonders liebt und segnen will? Ich entdeckte, dass meine innere Passivität und Gleichgültigkeit gegenüber dem jüdischen Volk etwas mit der Geschichte des deutschen Antisemitismus und Judenhasses zu tun hatte, der wie eine „Decke des Schweigens“ bis heute auf unseren Familien liegt. Aus dieser Erkenntnis erwuchs die Marsch des Lebens Bewegung, durch die weltweit Menschen mobilisiert werden, ihre Stimme gegen Antise-
mitismus zu erheben und in Freundschaft an der Seite Israels zu stehen. Harald Eckert war von Beginn an ein wichtiger Wegbegleiter und Freund. Ich erinnere mich, wie er auf zahlreichen Konferenzen und Seminaren auf die Kernberufung Deutschlands, ein Segen für Israel und für andere Länder zu sein, hingewiesen hat. Seine prophetische Stimme hat mir oft geholfen, meine Sichtweise zu schärfen und im Licht der Bibel gerade zu rücken. Er gehört zu den geistlichen Vätern in Deutschland, denen wir genau zuhören sollten.
Der Autor dieses Buches gehört im deutschsprachigen Raum zu den profiliertesten Bibellehrern und Kennern Israels. Seine Stimme ist eine prophetische Warnung und Ermutigung zugleich. Er legt mit seinem Buch „Deutschland in der Zerreißprobe“ eine endzeitliche Gesamtschau vor, die, ausgehend von der Erwählung Israels, wie in einem Kompendium einen umfassenden Überblick über die geistliche Situation Deutschlands gibt. Gleichzeitig liefert das Buch eine Schau für eine endzeitliche Reformation, in der durch den „Geist Zions“ auf allen kirchlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen Deutschland geheilt und wiederhergestellt werden kann.
Harald Eckert schafft es, dem Leser einen komplexen Sachverhalt klar verständlich und strukturiert vor Augen zu führen. Besonders hilfreich finde ich, dass jedes Kapitel in einem Fazit kulminiert und mit Gebetspunkten versehen ist.
Ich empfehle jedem interessierten Leser, der sich mit der endzeitlichen Berufung Deutschlands auseinandersetzt, dieses Buch betend zu lesen und zu studieren. Es hat das Potential, das eigene Leben zu verändern. Sie werden sehen: Unsere Haltung zu Israel kann zu einer entscheidenden Schicksalsfrage sowohl für Christen wie auch für die Nationen werden. Wir dürfen in diesem Buch unentdeckte bib-
lische Schätze kennenlernen. Möge es für Sie zu einem großen Segen und zur Initialzündung einer neuen Bewegung zur Heilung und Wiederherstellung unseres Landes werden.
VORWORT VOM AUTOR
In diesem Buch geht es um eine, vielleicht um die Schicksalsfrage für das gegenwärtige Deutschland: Deutschlands Verhältnis zum jüdischen Volk und zum jüdischen Staat Israel. Und es geht um ein Zweites: Um die Aufgabe der Christenheit im Verhältnis von Deutschland zum jüdischen Volk und zum jüdischen Staat. Dieses Buch schöpft primär aus drei Quellen: Aus der Bibel, der Geschichte und der Auseinandersetzung mit dem sogenannten Zeitgeist. Es geht also um eine biblisch-historische, apostolisch-prophetische und zivilisatorisch-geistesgeschichtliche Betrachtung dieser beiden Fragestellungen.
Dabei hat dieses Werk zwei Zielpunkte vor Augen: Es möchte Antworten auf die Frage geben, warum wir als deutsches Volk nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der von uns verantworteten Schoah eine derartig außergewöhnliche Gunst, einen solch einzigartigen Segen empfangen haben, welcher (wenn auch in Ost und West auf unterschiedliche Weise) in Wiederaufbau, Wohlstand und friedlicher Wiedervereinigung gipfelte. Und es will eine Perspektive eröffnen, welche Verantwortung, welche Berufung mit diesem Segen, mit dieser Gnade verbunden ist. Es möchte einen Weg skizzieren, wie wir als Christen konfessions-, werks-, und generationsübergreifend mit Gottes Hilfe diesem Privileg, dieser unverdienten Gnade und dieser Verantwortung gerecht werden mögen.
Dies alles ist inspiriert durch die biblische Offenbarung über Israel, der Gemeinde und den Nationen. In der evangelikalen Welt sind wir in der Regel an die individuelle Dimension der Erlösung gewöhnt. Daran soll sich nichts ändern. Aber diese uns vertraute Dimension soll in diesem Buch eine Ergänzung bekommen: Die biblische Dimension
der kollektiven Erlösung! Beide Dimensionen sind biblisch, sind wichtig und gehören im Gesamtverständnis des Wortes Gottes in eine ganzheitliche Schau. Kirchengeschichtlich gesprochen gab es allerdings nur selten eine Epoche, in der diese beiden Dimension in einer gesunden Balance zueinanderstanden und wirksam geworden sind.
Das hängt auch mit der kirchengeschichtlich massiv wirksamen sogenannten Ersatztheologie und den Konsequenzen daraus zusammen.
Zur kollektiven Dimension der biblischen Offenbarung: In der Bibel werden zum Beispiel die Nationen, wie einzelne Menschen, als Geschöpfe Gottes bezeichnet, die zu Gottes Ehre geschaffen sind:
„Alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten, o Herr, und deinem Namen Ehre geben;“ (Psalm 86,9)
Und so wie einzelne Menschen auf ein letztes Gericht zugehen, so auch die Völker: Nur Völker, die sich im „Geist Zions“, in Gottesfurcht und im Respekt vor Gott und seinem auserwählten Volk Israel bewegen, werden dies im neuen Jerusalem und in der Neuschöpfung von Himmel und Erde erleben:
„Und die Stadt (das neue Jerusalem, Anm.d.A.) bedarf nicht der Sonne, noch des Mondes, dass sie in ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihr Leuchte ist das Lamm. Und die Heidenvölker, die gerettet werden (H. d. A.), werden in ihrem Licht wandeln, und die Könige der Erde werden ihre Herrlichkeit und Ehre in sie bringen.“ (Offenbarung 21,23-24)
Der Aufbau dieses Buches hat folgende Struktur: Zunächst wird die Zerreißprobe beschrieben, in der sich Deutschland heute befindet. Danach folgt eine Darstellung des Auftrages der Christen in Verbun-
denheit mit Israel als „Salz und Licht“ inmitten der Völker. Es geht um das biblisch definierte aber zivilisatorisch gedeutete hochbedeutsame Spannungsfeld der Völkerwelt zwischen dem „Geist Babels“ und dem „Geist Zions“. Deutschland befindet sich dabei in der Mitte dieses Spannungsfeldes. Vereinfacht kann man sagen, dass Deutschland in der Gefahr steht, sich mit beiden Einflüssen gleichzeitig verbinden zu wollen: mit den „Geist Babels“ und mit dem „Geist Zions“. Und genau dies droht uns auf verhängnisvolle Weise zu zerreiben. Deutschland steht an einem Scheideweg. Deutschland ist in der Zerreisprobe. Zum Schluss hin schließlich wird es praktisch: Was sind mögliche nächste Schritte? Was kann jeder Einzelne tun?
Auf Grund unserer einzigartigen Verbundenheit als Christen aus Deutschland mit dem jüdischen Volk einerseits und unserem deutschen Volk andererseits, sind wir in einzigartiger Weise gerufen und herausgefordert, unsere Berufung als „königliche Priesterschaft“ (1. Petrus 2,9) und als „Salz und Licht“ (Matthäus 5,13-16) zu ergreifen, zu entwickeln und anzuwenden. Damit Deutschland in dieser Zerreisprobe nicht zerrissen wird, sondern im Gegenteil, mehr denn je inmitten aller Herausforderungen seinen Weg in seine Berufung an der Seite Israels hineinfindet.
Die Zerreißprobe
KAPITEL 1
Deutschland-Israel
auf der Kippe
EINFÜHRUNG
Mit Blick auf Deutschland, das Judentum und Israel, im Lichte der Bibel betrachtet, stellen sich Fragen nach Geschichte, Schuld, Aussöhnung, Berufung Deutschlands und der Gefahr, an dieser Berufung vorbeizugehen. Es vermischen sich geistliche, historische, ethnisch-moralische und zivilisatorische Anliegen. Im Kern jedoch geht es, biblisch gesprochen, um die Frage von Segen oder Fluch.
„DAS HÖCHSTE GEBOT“
In Römer 11,29 heißt es in Bezug auf Israel: „Denn Gottes Gnadengaben und Berufung können ihn nicht reuen.“ Das, was hier von Israel gesagt ist, gilt im Grundsatz für jedes Volk, jede Nation. Wie für jeden einzelnen Menschen, gilt auch auf der kollektiven Ebene, dass jeder Stamm, jedes Volk, jede Sprache und jede Nation seine eigenen Charakteristika haben. Diese kollektiven Merkmale sind Potentiale und Anlagen, die zum Guten und zum Schlechten eingesetzt werden können, zum Wohl und zum Wehe anderer und seiner selbst. Das gilt für jeden einzelnen Menschen. Das gilt auch auf der gemeinschaftlichen Ebene. So, wie jeder Einzelne geschaffen ist, um seinen Beitrag zum Wohl anderer Menschen einzubringen, so gilt
das auch für die Gemeinschaft. Genau darin besteht der Sinn der Existenz und der eigenen Erfüllung im Leben, zum Wohl anderer da zu sein. Die Ehe besteht auf dieser Grundlage, die Familie, das Gemeinwesen auf allen Ebenen und eben auch die staatliche Existenz. Das biblische Prinzip: „Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst“ (3. Mose 19,18), hat Gott Israel offenbart. Der Jude Jesus hat diese Offenbarung als höchstes Gebot für alle Menschen definiert und über die Christenheit und das jüdisch-christliche Wertefundament ist dieses in die vom Christentum geprägte Zivilisation eingebracht worden ist. Das höchste Gebot ist das Grundgesetz des menschlichen Zusammenlebens schlechthin.
In abgewandelter Form hat dieses oder auch ein ähnliches Handlungsprinzip durch andere Denker und Philosophien Raum bekommen. Immanuel Kant zum Beispiel verkündete als kategorischen Imperativ, als oberste Handlungsmaxime folgenden Satz: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“1 In vielen Kulturkreisen gilt dies heute so oder ähnlich als weithin anerkanntes Universalgesetz. Die Herausforderung liegt jedoch darin, dass die menschliche Natur anders veranlagt ist. Die Natur des Menschen neigt zu Stolz und Selbstsucht. Es braucht Erziehung, Vorbild und Charakter, um gegen die innewohnenden Tendenzen der eigenen, sündigen Natur in Richtung der Höhe des höchsten Gebotes zu wachsen. Paulus drückt diesen Konflikt so aus:
„Was wollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber ich hätte die Sünde nicht erkannt, außer durch das Gesetz; denn von der Begierde hätte ich nichts gewusst, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: Du sollst nicht begehren! Da nahm aber die Sünde einen Anlass durch das Gebot und bewirkte in mir jede Begierde; denn ohne das
Gesetz ist die Sünde tot. Ich aber lebte, als ich noch ohne Gesetz war; als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf, und ich starb; und eben dieses Gebot, das zum Leben gegeben war, erwies sich für mich als todbringend. Denn die Sünde nahm einen Anlass durch das Gebot und verführte mich und tötete mich durch dasselbe. (…) Ich finde also das Gesetz vor, wonach mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. Denn ich habe Lust an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen; ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das gegen das Gesetz meiner Gesinnung streitet und mich gefangen nimmt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Todesleib? Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! So diene ich selbst nun mit der Gesinnung dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.“ (Römer 7,7-25)
Die christliche Antwort auf diesen Konflikt wird im nächsten Kapitel (Kapitel 8) des Römerbriefes näher erläutert. Dort wird ein Lebensstil in der innigen Beziehung zum himmlischen Vater aus der Kraft der Vergebung durch den Sühnetod Jesu am Kreuz und aus der Gegenwart des Heiligen Geistes heraus beschrieben. Auf personaler, wie auch auf kollektiver Ebene gibt es diesen grundsätzlichen Konflikt zwischen dem Ideal, dem höchsten Gebot auf der einen Seite und unserer sündigen, selbstsüchtigen, stolzen Natur auf der anderen Seite. Als Christen dürfen wir aus der Kraft der Versöhnung mit Gott und der Erfüllung mit dem Geist Gottes heraus in einen Lebensstil hineinwachsen, der sich am „höchsten Gebot“ orientiert und zu ihm hinwächst. Und als solche haben wir den Auftrag im Geist der Bergpredigt Jesu „Salz und Licht“ (Matthäus 5) zu sein, um, begleitet durch unser Gebet, unser Umfeld und unsere Gesellschaft in diese Richtung zu prägen und zu beeinflussen. Angewandt auf die nationale Ebene geht es somit um zwei Dinge: Zum
einen um ein gesellschaftliches Miteinander, das auf dem christlichjüdischen Fundament des höchsten Gebotes steht und zum anderen um eine Außenwirkung auf dieser Grundlage. Jede Nation ist gerufen, ein Segen für andere Nationen zu sein – zuvorderst für Israel (1. Mose 12,3)! Das ist der Berufungskern einer jeden Nation. Dafür hat jede Nation seine besonderen „Gnadengaben“ bekommen.
DEUTSCHLAND UND DIE JUDEN
Die Geschichte der Juden in Deutschland beginnt schon früh –ziemlich genau vor 1.700 Jahre, wie wir im Jahr 2021 erst ausführlich gewürdigt haben. In dem Buch „Das Volk der Juden, eine Universalgeschichte. 4000 Jahre Kampf ums Überleben“ von Max Wurmbrand und Cecil Roth heißt es: „Ein Erlass des Kaisers Konstantin vom Jahre 321, an die Stadt Köln gerichtet, bestimmt die Pflichten und Rechte der jüdischen Gemeinde. Das beweist, dass es im Rheinland, wahrscheinlich auch in anderen Gegenden, bereits organisierte, vom Staate anerkannte jüdische Gemeinden gab.“2 Kurz darauf heißt es: „Die Juden pflegten überall nahe beieinander, in gesonderten jüdischen Vierteln, zu wohnen, und waren untereinander durch die gemeinsame, von den Lehren des Gesetzes und der rabbinischen Auslegung derselben beherrschten Lebensweise eng verbunden. Die gemeinsamen Bräuche und Feierlichkeiten, der Rhythmus des allwöchentlichen Sabbaths und der alljährlichen Feier- und Festtage, das einheitliche Gesetz und die allen gemeinsame Tafel moralischer Werte, die Hoffnung auf das Kommen des Messias und nach der Zerstörung des Tempels die Hoffnung auf die Wiederherstellung des jüdischen Staatswesens im alten Heimatland, all das prägte dem jüdischen Leben in der Diaspora einen besonderen Charakter auf (…) Ihre heidnischen Nachbarn waren meisten-
teils judenfeindlich eingestellt.“3 Diese Judenfeindlichkeit änderte sich durch die spätere Christianisierung des europäischen Abendlandes leider nicht. Das gilt für den Mainstream der Ostkirche, das gilt für den Mainstream der Westkirche und das gilt, was Deutschland betrifft, auch im Wesentlichen für die lutherische Kirche. So findet sich in dem Werk „Geschichte der Juden – Atlas der Verfolgung und Vertreibung im Mittelalter“ von Haim Beinart folgender Satz: „Auch der Aufstieg des Protestantismus brachte im Ganzen gesehen keine Veränderungen zum Guten.“4 In den ersten Jahren der Kaiserzeit (1872) kam es zur bürgerlichen Gleichstellung der Juden. In dieser Zeit verbreitete sich die Hoffnung unter den Juden in Deutschland, dass deutsch sein und jüdisch sein vereinbar seien. In dem Buch „Die Juden in Deutschland – von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik“ von Nachum T. Gidal heißt es von dieser Zeit: „Die meisten deutschen Juden glaubten immer noch an eine Verschmelzung mit dem deutschen Volk unter Beibehaltung ihres Judentums. So wurde die Idee einer Rückkehr nach Palästina von deutsch-jüdischen Publizisten, Wirtschaftsführern und Politikern oft attackiert.“5
Zusammengefasst: Das Judentum in Deutschland erlebte über Jahrhunderte hinweg unendliche Unterdrückung und Verfolgung aber gleichwohl in dem Jahrhundert bis zum Dritten Reich einen starken Drang zur Assimilation. Dann kamen Hitler und der Holocaust mit ca. 6 Millionen jüdischen Toten und 5 Millionen aus Europa vertriebenen Juden. Heute leben in Deutschland über 300.000 Juden, wobei die überwiegende Mehrheit in den letzten ca. 30 Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen ist.
„NIE WIEDER!“
Das Bekenntnis Deutschlands und des großen Teiles der westlichen Welt nach dem Holocaust lautete: „Nie wieder!“ Ja, es war mehr als ein Bekenntnis. Es war eine Art Schwur. Inzwischen ist jedoch festzustellen, dass verschiedene gesellschaftliche Kräfte diesen Schwur je nach ideologischer Färbung sehr unterschiedlich interpretieren. Das gilt auch für den Mainstream der deutschen und der israelischen Gesellschaft, wie der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn scharfsinnig beobachtet.
Für Deutschlands Mainstream heißt „Nie wieder!“ zumeist „Nie wieder Täter sein!“ Vor allem die pazifistisch ausgerichtete eher linksorientierte Hälfte der Gesellschaft steht für diese Interpretation. Für Israels Mainstream heißt „Nie wieder!“ im Gegensatz dazu vor allem „Nie wieder Opfer sein!“ Aus deutscher Perspektive sollte die Botschaft meines Erachtens vor allen Dingen lauten: „Nie wieder Ausgrenzung, Hass, Verfolgung und Ermordung von Juden!“ Das Gleiche gilt im Prinzip für alle Minderheiten aber auf Grund von Deutschlands Geschichte mit den Juden und der einzigartigen Dimension des Völkermords an ihnen hat dieser Schwur in ihre Richtung einen singulär hohen Stellenwert. Diese Betonung findet man jedoch bei den Mainstream Medien und Meinungsmachern in unserem Land eher selten. Darin liegt meines Erachtens einer der Hauptgründe für den wachsenden Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland.
FAZIT UND GEBETSANLIEGEN
Die Juden in Deutschland haben es den größeren Teil der letzten siebzehnhundert Jahre nicht leicht gehabt. Immer wieder haben sie Misstrauen, Ablehnung, Verfolgung, Vertreibung und phasenweise Todesgefahr erlebt. Gleichwohl waren sie in vielfacher Weise ein Segen für die sie umgebende Gesellschaft. Heute leben in Deutschland etwa dreihunderttausend Juden.
Wir wollen Gott danken für die Juden, die im Laufe der Geschichte in Deutschland gelebt und gewirkt haben. Wir wollen die Juden, die heute in Deutschland leben, segnen und um ihren Schutz und ihr Wohlergehen beten. Wie wollen um gute Nachbarschaft zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Deutschen beten.
KAPITEL 2
Die Berufung Deutschlands und nationale Buße
EINFÜHRUNG
Die Frage nach der Berufung Deutschlands im Zusammenhang mit Israel und die Frage nach der Notwendigkeit einer nationalen Buße im Zusammenhang mit Israel sind sensible Fragen. Gleichwohl sind es Fragen, zu denen es biblische Orientierungspunkte gibt, die das Herz einer „königlichen Priesterschaft“ mit Recht bewegt und bewegen muss. Beide Fragen, die Frage nach der (nationalen) Berufung und die Frage nach der (nationalen) Buße in Bezug zueinander zu sehen, markiert den Horizont, den es dabei in den Blick zu nehmen gilt.
HABEN NATIONEN EINE BERUFUNG?
Biblisch eindeutig ist, dass Israel eine Berufung hat. In 1. Mose 12,1-3 heißt es:
„Der Herr aber hatte zu Abram gesprochen: Geh hinaus aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde! Und ich will dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf der Erde!“