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Drohende Abschiebung in die Türkei

Mehmet Çakas soll aus der Haft in Deutschland abgeschoben werden

Mehmet Çakas hat wegen der politischen Verfolgung in der Türkei in Deutschland Asyl gesucht. Er hat sechs Jahre in Deutschland gelebt und sich für die kurdische Sache vielfältig engagiert. 2021 wurde sein Asylverfahren eingestellt. Er ging nach Italien und stellte dort erneut einen Asylantrag. Aufgrund eines von Deutschland ausgestellten Haftbefehls wurde er im Dezember 2022 in Italien in Auslieferungshaft genommen und im März 2023 an die deutsche Justiz überstellt. Anfang September wurde in Celle der Prozess gegen ihn wegen Terrorismus und Mitgliedschaft in der PKK eröffnet. Er wurde im April 2024 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Diese Strafe wäre am 4. Oktober 2025 abgesessen. Nun soll Çakas aus der Haft in die Türkei abgeschoben werden. Dort sind verschiedene Verfahren wegen seiner politischen Betätigung gegen ihn anhängig u.a. droht die Verurteilung zu lebenslanger verschärfter Haft. Mehmet Çakas hat in der Haft einen Asylfolgeantrag gestellt, der ohne weitere Überprüfung vom BAMF abgelehnt wurde. Die Klage dagegen soll im September entschieden werden, nach Vollzug der Abschiebung.

Nach der Urteilsverkündung erklärte er: „Ich hätte mich gerne gegen die Vorwürfe verteidigt und gezeigt, dass ich persönlich und zu den Zeiten und an den Orten, die Gegenstand der Anklage sind, keine illegalen Handlungen begangen habe. Aber die Anklageschrift konzentriert sich auf die kurdische Bewegung und nicht darauf, ob ich in Deutschland illegal gehandelt habe oder nicht (…) Aus der Anklageschrift selbst geht hervor, dass nicht ich persönlich angeklagt bin. Angeklagt ist die kurdische Bewegung.“

Gegen die drohende Abschiebung gibt es zahlreiche Proteste von kurdischen Verbänden, von Menschenrechts- und Flüchtlingsinitiativen und dem RAV, weil sie gegen europäisches und internationales Recht verstößt. Die wissenschaftlichen

Dienste des Deutschen Bundestags haben sich 2016 zu den völker- und menschenrechtlichen Vorgaben für Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen geäußert: Der Grundsatz des Non-Refoulement (“Nichtzurückweisung”) beruht auf der Überzeugung der Staatengemeinschaft, dass keine Person in einen Staat zurückgewiesen werden darf, in dem ihr eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte droht. Die Staaten werden damit verpflichtet, die gefährdete Person vor dem unmittelbaren Zugriff des Verfolgerstaates zu schützen. Das Refoulement-Verbot begründet zwar keinen Rechtsanspruch auf Asyl, wohl aber ein Recht von Flüchtlingen, dem Zugriff des Verfolgerstaates auf Dauer entzogen zu bleiben und nicht gegen ihren Willen dorthin zurückkehren zu müssen, solange die Verfolgung andauert. (…) Auf das Refoulement-Verbot können sich zunächst einmal alle Menschen berufen –auch Deserteure, Straftäter, Terroristen, Asylbewerber oder Flüchtlinge.

Seit der Abschiebeoffensive des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz scheint es für das BAMF und viele Verwaltungsgerichte keine Hemmungen zu geben. Sie gehen von einer rechtsstaatlichen Justiz in der Türkei aus, obwohl es dazu viele gegenteilige Berichte und Untersuchungen gibt – das besagt u.a. ein Rechtsgutachten von Pro Asyl vom September 2024 zur Lage der Justiz in der Türkei.

„Strafverfahren mit politischem Bezug sind in der Türkei zu einer Farce verkommen. Willkürliche Verfahren und Haftstrafen sind an der Tagesordnung“, so Wiebke Judith von Pro Asyl. Im September 2023 verurteilte das EU-Parlament u.a. die mangelnde Unabhängigkeit der türkischen Justiz und die politische Instrumentalisierung des Justizsystems und verwies auf anhaltende Angriffe auf die Grundrechte von Oppositionellen und Angehörigen von Minderheiten durch juristische und administrative Schikane. Trotzdem gab es für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei im Jahr 2024 nur in 7% eine Asylanerken- nung – denn die Türkei wird vom BAMF und vielen Verwaltungsgerichten als sicheres Herkunftsland eingestuft.

Die Abschiebung von Mehmet Çakas in die Türkei könnte ein Präzedenzfall werden. Nach Angaben des kurdischen Rechtshilfevereins AZADI sind zur Zeit 14 Verfahren nach §129b gegen kurdische Politiker/Aktivisten in Deutschland anhängig. Einer von ihnen ist Yüksel Koc, der seit 35 Jahren mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in Bremen lebt. Er war von 2016 bis 2023 Ko-Vorsitzender des kurdischen Europadachverbands KCDK-E.

Es ist schwer nachzuvollziehen, warum diese Politiker gerade jetzt in den Fokus der deutschen Justiz geraten, wo sich in der Türkei ein Friedensprozess andeutet, der mit der Auflösung der PKK begonnen hat und noch auf eine adäquate Antwort der türkischen Regierung wartet. Wie könnte die Bundesregierung dieses zarte Friedenspflänzchen unterstützen? Ein wichtiger Schritt wäre die längst überfällige Aufhebung des PKK-Verbots und die Einstellung der Verfahren gegen Kurden, die für die kurdische Sache Verantwortung übernehmen.

Die Quellen zu diesem Artikel finden Sie auf dem IPPNW-Blog: blog.ippnw.de

Dr. Gisela Penteker ist IPPNW-Mitglied und leitet seit vielen Jahren die Reisen von IPPNW-Mitgliedern in die Türkei.

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