3 minute read

Atomwaffentests in Reggane

Vor 65 Jahren führte das französische Militär in der algerischen Sahara seine ersten Atomtests durch

1945 gründete Frankreich die Atomenergiebehörde CEA – zuständig sowohl für die zivile als auch für die militärische Nutzung der Atomtechnologie. In den 1950er Jahren begann man mit dem Abbau von Uran und der Umwandlung in waffenfähiges Plutonium. Nach nur wenigen Jahren war Frankreich im Besitz von Atomwaffen, die in der französischen Kolonie Algerien getestet werden sollten. Der erste französische Atomwaffentest wurde am 13. Februar 1960 unter dem Code „Gerboise Bleue“ mitten in der Sahara durchgeführt, etwa 50 km südöstlich der Oase Reggane. Drei weitere oberirdische Atomwaffentests wurden 1960 und -61 in Reggane durchgeführt.

2010 deckte die Zeitung „Le Parisien“ auf, dass im April 1961 vorsätzlich 300 Soldaten in das kontaminierte Gebiet der „Gerboise Verte“-Detonation geschickt wurden, um „die physiologischen und psychologischen Auswirkungen von Atomwaffen auf Menschen“ zu untersuchen und „Informationen für die körperliche und geistige Vorbereitung moderner Soldaten“ zu sammeln.

1967, fünf Jahre nach seiner Unabhängigkeit von Frankreich, erhielt Algerien die volle Kontrolle über das massiv verstrahlte Testgebiet von Reggane zurück.

Folgen für Umwelt und Gesundheit

10.000 Soldaten, die Arbeiter des Atomwaffentestgeländes und lokale Tuareg-Stämme waren der Strahlung der Atomwaffentests direkt ausgesetzt, unzählige weitere dem radioaktiven Niederschlag, der vom Wind verweht wurde. Bis in die 3.200 km entfernte sudanesische Hauptstadt Khartoum wurde erhöhte Radioaktivität gemessen. Ein Bericht des französischen Senats stellte fest, dass französische Soldaten im Testgebiet Strahlendosen zwischen 42 und 100 mSv ausgesetzt waren – dem 20 bis 50-fachen der üblichen Jahresdosis an Hintergrundstrahlung (ca. 2,4 Millisievert/Jahr).

Doch diese Schätzungen berücksichtigen noch nicht den Aspekt der inneren Bestrahlung. Vor allem bei den Menschen, die weit entfernt von der eigentlichen Explosion lebten und hauptsächlich vom radioaktiven Niederschlag betroffen waren, spielte das Einatmen von radioaktiven Staubpartikeln und die Aufnahme kontaminierter Nahrung und Wasser eine bedeutende Rolle in der Entstehung von Krebserkrankungen. Bis heute gibt es keine aussagekräftigen Studien über die gesundheitlichen Folgen der Atomwaffentests für Arbeiter, Soldaten und lokale Tuareg – lediglich immer wieder die Feststellung erhöhter Krebsraten und Fehlbildungen bei Neugeborenen. 45 Jahre nach Ende der Atomwaffentests stellte die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) im Areal rund um Reggane weiterhin hohe Radioaktivität fest.

Ausblick

Im März 2009 erklärte sich die französische Regierung nach jahrzehntelanger Verweigerung bereit, die Opfer der Atomwaffentests zu entschädigen. Betroffenenverbände kritisieren jedoch, dass die Auswahlkriterien für die Entschädigungszahlungen zu streng und der Zugang für viele der Opfer zu kompliziert sei. Dies gilt insbesondere für die Tuareg der algerischen Sahara. Umfassende und unabhängige Untersuchungen sind dringend erforderlich, um die gesundheitlichen Auswirkungen der Atomwaffentests zu untersuchen. Die Akte Reggane ist noch lange nicht geschlossen.

Dieser Text ist ein Ausschnitt aus der IPPNW-Posterausstellung „Hibakusha Weltweit“. Die Ausstellung zeigt die Zusammenhänge der unterschiedlichen Aspekte der Nuklearen Kette: vom Uranbergbau über die Urananreicherung, zivile Atomunglücke, Atomfabriken, Atomwaffentests, militärische Atomunfälle, Atombombenangriffe bis hin zum Atommüll und abgereicherter Uranmunition. Sie kann ausgeliehen werden. Weitere Infos unter: www.hibakusha-weltweit.de

This article is from: